Wien, 12. November 2021
BK 55/21
Betreff: Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem ein Sterbeverfügungsgesetz erlassen und das Suchtmittelgesetz sowie das Strafgesetzbuch geändert werden; GZ 2021-0.723.419; Stellungnahme
Das Generalsekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz erlaubt sich, binnen offener Frist zum oben genannten Gesetzesentwurf, GZ 2021-0.723.419, folgende Stellungnahme abzugeben:
In Österreich besteht ein breiter gesellschaftlicher und politischer Konsens, dass das menschliche Leben bis zu seinem natürlichen Ende zu schützen und das Recht auf Leben vor Infragestellung durch wen auch immer zu bewahren ist. Zum größten Bedauern der Österreichischen Bischofskonferenz wurde diesem Konsens durch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vom Dezember 2020, mit der das Verbot der Beihilfe zum Suizid gemäß § 78 2. Fall StGB als verfassungswidrig aufgehoben wurde, widersprochen.
Gemäß der Einsicht, dass das Leben immer zu leben sucht, ist der geäußerte Wunsch von Personen, einen Suizid zu begehen, in aller Regel als Hilferuf nach menschlicher Zuwendung, nach seelischem Beistand oder auch nach ärztlicher Schmerzlinderung zu verstehen.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs ist deshalb ein kultureller Dammbruch, dessen langfristige Auswirkungen noch in keiner Weise absehbar sind. Das bisherige generelle Verbot der Beihilfe zum Suizid war ein wirksamer Schutz vulnerabler Personengruppen vor gesellschaftlichem und privatem Druck, sich für einen Suizid zu entscheiden, und sicherte auf diese Weise deren Freiheit und Autonomie. Die Aufhebung der Strafbarkeit der Hilfeleistung zum Suizid ist daher gleichbedeutend mit einer Beeinträchtigung des Schutzes und einem Verlust von Freiheit dieser vulnerablen Personen.
Nachdrücklich wird festgehalten, dass trotz der Hinweise auf notwendige Verbesserungen des geplanten Gesetzes in dieser Stellungnahme die generelle Zurückweisung der Suizidassistenz uneingeschränkt aufrecht bleibt. Die österreichischen Bischöfe lehnen eine Assistenz zum Suizid weiterhin entschieden ab, auch wenn ihnen Situationen vertraut sind, in denen Menschen aus Verzweiflung den Wunsch nach einer Beendigung ihres Lebens äußern. Der Wunsch nach Suizid ist stets eine besondere Herausforderung für alle Beteiligten. Selbsttötung ist eine existenzielle Tragödie, meist die tödliche Konsequenz einer subjektiv empfundenen Ausweglosigkeit. Sie hinterlässt auch bei den Hinterbliebenen oftmals tiefe Wunden.
Umso mehr begrüßt die Österreichische Bischofskonferenz den dringend notwendigen Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung in Österreich und appelliert mit Nachdruck an die Verantwortlichen, dessen gesicherte Finanzierung zeitnah sicherzustellen.
Das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom Dezember 2020 hat den Gesetzgeber vor eine schwierige Herausforderung gestellt. Wenngleich in dem gegenständlichen Entwurf eines „Sterbeverfügungsgesetzes“ das Bemühen erkennbar ist, die Beihilfe zum Suizid in Österreich einer verantwortungsvollen Regelung zu unterwerfen, enthält er aus Sicht der Österreichischen Bischofskonferenz Bestimmungen, die in der vorliegenden Fassung aufgrund ihrer Auswirkungen nicht akzeptabel sind. Dies wird im Folgenden näher ausgeführt.
a. Die Straflosigkeit der Assistenz zum Suizid darf nur eine Ausnahme von der generellen Strafbarkeit sein
Obwohl der Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil zur Rechtssache G 139/2019 bedauerlicherweise zur Einsicht gelangt ist, dass die Wortfolge "oder ihm dazu Hilfe leistet," in § 78 des Strafgesetzbuches als verfassungswidrig aufzuheben sei, hat er dazu in den Entscheidungsgründen ausdrücklich festgehalten, dass lediglich das „ausnahmslose“ Verbot der Hilfeleistung zum Suizid die Verfassungswidrigkeit begründe, da § 78 2. Fall StGB „pauschal und ohne Differenzierung alle denkbaren Hilfestellungen zur Selbsttötung“ unter Strafe stelle.
Er hat damit dem Gesetzgeber vorgegeben, dass eine Straflosigkeit der Assistenz zum Suizid nur einen Ausnahmefall von der weiterhin aufrechten generellen Strafbarkeit darzustellen hat, jedoch die Suizidassistenz keinesfalls generell straflos sein soll.
b. Der Entschluss zum Suizid muss freiwillig und unbeeinflusst getroffen werden
Der Verfassungsgerichtshof hat dem Gesetzgeber darüber hinaus entsprechende gesetzliche Maßnahmen zur Missbrauchsprävention aufgetragen „damit die betroffene Person ihre Entscheidung zur Selbsttötung nicht unter dem Einfluss Dritter fasst“.
Daraus folgt, dass der Gesetzgeber sicherzustellen hat, dass die suizidwillige Person die Entscheidung zur Beendigung ihres Lebens vollkommen freiwillig und ohne Beeinflussung durch ihr soziales oder familiäres Umfeld oder durch andere Personen trifft.
c. Vulnerable Personen, insbesondere solche mit verminderter Entscheidungs-fähigkeit, sind vor einer Suizidbegehung zu schützen
Zudem wiederholt der Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil ausdrücklich die sich schon aus Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention und der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergebende Verpflichtung der staatlichen Stellen, „vulnerable Personen vor Handlungen zu schützen, mit denen sie ihr eigenes Leben gefährden“, wozu unter „bestimmten qualifizierten Umständen auch Schutzmaßnahmen zu Gunsten von Personen zählen, die durch Suizidgefahr bedroht sind“.
Diese Verpflichtung betrifft insbesondere solche Personen, deren Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt sein könnte. Der Gesetzgeber hat daher zu gewährleisten, dass bei mangelnder Entscheidungsfähigkeit des Suizidenten keine erlaubte Beihilfe zum Suizid geleistet werden kann.
c. Der Wunsch nach Suizid muss dauerhaft sein
„Da die Selbsttötung irreversibel ist“, muss, so der Verfassungsgerichtshof, sichergestellt werden, dass „die entsprechende freie Selbstbestimmung der zur Selbsttötung entschlossenen Person tatsächlich auf einer (nicht bloß vorübergehenden, sondern) dauerhaften Entscheidung beruht“.
Der Gesetzgeber hat daher dafür Sorge zu tragen, dass keine erlaubte Beihilfe zum Suizid stattfindet, solange die vom Verfassungsgerichtshof geforderte Dauerhaftigkeit des Suizidentschlusses nicht vorliegt.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass der Verfassungsgerichtshof bei seinem Urteil eine gesetzgeberische Neuregelung der Suizidassistenz im Blick hatte, die eine erlaubte Assistenz nur innerhalb enger Grenzen und unter Sicherstellung eines freiwilligen, selbstbestimmten und dauerhaften Entschlusses des entscheidungsfähigen Suizidenten ohne Einflussnahme Dritter auf dessen Willensbildung und daher ausschließlich als Ausnahme von einer weiterhin geltenden generellen Strafbarkeit ermöglicht.
So bedauerlich die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs war, die generelle Strafbarkeit der Assistenz zum Suizid aufzuheben, so sehr wäre doch zu erwarten gewesen, dass der vorliegende Gesetzesentwurf die durch den Verfassungs-gerichtshof festgelegten Vorgaben sorgfältig beachtet. Umso verwunderlicher ist, dass der gegenständliche Gesetzesentwurf in mehreren Punkten den im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs gezogenen Grenzen für den Gesetzgeber gerade nicht gerecht wird. Der Gesetzesentwurf missachtet damit die Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs, da er dessen Urteil nicht sorgfältig umsetzt, wie im Folgenden deutlich werden wird:
a. Die Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid ist weder an das Vorliegen einer Sterbeverfügung, noch an den Ablauf einer Bedenkzeit gebunden
Der Gesetzgeber hat sich bei der vorliegenden Neufassung des § 78 Abs 2 StGB dafür entschieden, lediglich die physische Beihilfe zum Suizid in vier konkret bestimmten Fällen unter Strafe zu stellen, nämlich bei Minderjährigkeit des Opfers, bei verwerflichen Beweggründen, bei einer Person, die nicht an einer Krankheit im Sinn des § 6 Abs 3 StVfG leidet, sowie bei einer Person die nicht im Sinn des § 7 StVfG ärztlich aufgeklärt wurde.
Diese generelle Straffreistellung der Beihilfe zum Suizid unter gleichzeitiger Normierung von vier eng gefassten Ausnahmen, bei denen die Strafbarkeit erhalten bleibt, verstößt gegen die im Urteil zum Ausdruck kommenden Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs, da sie weit über die vom Verfassungsgerichtshof geforderte ausnahmsweise Straflosigkeit hinausgeht. Der Gesetzesentwurf verkehrt die Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs auf diese Weise sogar in ihr Gegenteil. Zudem wird durch die Regelung die geforderte Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches in keiner Weise sichergestellt und auch die sichere Beurteilung der Entscheidungsfähigkeit des Suizidenten nicht gewährleistet.
In rechtlicher Hinsicht folgt aus § 78 Abs 2 StGB, dass die Einhaltung des Prozedere im Sinn des § 8 StVfG – d.h. Errichtung einer Sterbeverfügung bei einem/einer Notar/in oder bei der Patientenanwaltschaft nach Ablauf von mindestens zwölf Wochen Bedenkzeit – ausschließlich dann erforderlich ist, wenn der Suizident ein tödliches Gift von einer Abgabestelle beziehen möchte. Das Instrument der Sterbeverfügung wird damit auf einen bloßen Bezugsschein in der Apotheke reduziert.
Dagegen ist nunmehr strafrechtlich – entgegen mancher anderslautender öffentlicher Aussagen von Regierungsmitgliedern – jede andere Form der Beihilfe zu jeder beliebigen Art des Suizids unmittelbar nach der zweiten ärztlichen Aufklärung erlaubt. Damit wäre es beispielsweise für den Beihelfer strafrechtlich zulässig, der suizidwilligen Person sofort nach der zweiten ärztlichen Aufklärung eine Schusswaffe auszuhändigen, damit sie sich damit an Ort und Stelle das Leben nimmt. Damit wären weder die Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches noch der freie Willen gesichert. Bloß für eine einzige, vom Gesetzgeber in § 8 StVfG vorgezeichnete Suizidvariante, nämlich für den Suizid durch ein tödliches Gift aus der Apotheke, wären hingegen die zwölf Wochen Bedenkzeit und die Errichtung einer Sterbeverfügung erforderlich.
Diese Regelung ist sachlich nicht nachvollziehbar und stellt eine gravierende Missachtung der Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs dar, da die Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid damit weder an das Vorliegen einer Sterbeverfügung noch an das Verstreichen der vorgesehenen Bedenkzeit gemäß § 8 StVfG gebunden ist.
Dabei sichert gerade die aus den Erkenntnissen der Suizidforschung bekannte rund dreimonatige Frist die Dauerhaftigkeit des Suizidwunsches ab und stellt sicher, dass ein Suizidvorhaben in einer kurzfristigen depressiven oder sonstigen Krisenphase nicht unmittelbar umgesetzt wird. Zudem dient die Errichtung der Sterbeverfügung bei einer öffentlichen Vertrauensperson (Notar/in, Patienten-vertretung) der nochmaligen Überprüfung und Bestätigung des Suizidwillens und der Einsichts- und Entscheidungsfähigkeit des Suizidenten durch eine neutrale, vom Suizidbeihelfer verschiedene dritte Person.
Regelungsvorschlag:
Innerhalb der Logik des vorliegenden Gesetzes wäre die sachgerechte Regelung daher auch im Sinne der Rechtssicherheit für alle Beteiligten die grundsätzliche Beibehaltung der Strafbarkeit der Beihilfe zum Suizid, unter gleichzeitiger Normierung eines Rechtfertigungsgrunds für den Beihelfer, wenn eine aufrechte Sterbeverfügung des Suizidenten vorliegt und der Suizid mittels des tödlichen Präparats aus der Apotheke durchgeführt wird. Dies würde auch den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs Rechnung tragen.
b. Die generelle Straflosigkeit der psychischen Beihilfe zum Suizid ist mit den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs unvereinbar
Da § 78 Abs 2 StGB ausschließlich bestimmte Formen der physischen Beihilfe zum Suizid unter Strafe stellt, folgt daraus im Umkehrschluss, dass mit der neuen Regelung jede Form der psychischen Beihilfe zum Suizid straflos sein wird.
Diese generelle Straflosigkeit der psychischen Beihilfe widerspricht ebenfalls den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs, der – wie bereits ausgeführt – einerseits ausgesprochen hat, dass die Straflosigkeit nur als Ausnahme von der weiterhin bestehenden generellen Strafbarkeit der Beihilfe in Frage kommt und dass andererseits die freie Willensbildung des Suizidenten zur Selbsttötung von Dritten nicht beeinflusst werden darf.
Mit der geplanten Regelung wäre hingegen nunmehr jegliche Bestärkung eines fremden Suizidentschlusses ohne irgendwelche Einschränkungen erlaubt. Beachtet man die Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs, können daher für die psychische Beihilfe schon aus Gründen der Rechtssicherheit nur dieselben Voraussetzungen gelten wie für physische Beihilfehandlungen. Damit ist die Beibehaltung der generellen Strafbarkeit auch der psychischen Beihilfe zum Suizid und eine allfällige Rechtfertigung für den Beihelfer ausschließlich bei genauer Einhaltung des Verfahrens nach dem Sterbeverfügungsgesetz gemeint.
c. Der Schutz vulnerabler Personen durch qualifizierte Überprüfung der Entscheidungsfähigkeit wird nicht sichergestellt
Gemäß § 7 Abs 1 StVfG hat vor Errichtung einer Sterbeverfügung eine Aufklärung durch zwei ärztliche Personen zu erfolgen, von denen eine palliativmedizinisch qualifiziert zu sein hat, um sicherzustellen, dass die sterbewillige Person entscheidungsfähig ist und einen freien und selbstbestimmten Entschluss geäußert hat. Abs 4 leg cit schreibt vor, dass eine Abklärung und Beratung durch eine Fachärztin bzw. einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin oder eine klinische Psychologin bzw. einen klinischen Psychologen zu veranlassen ist, sofern sich im Rahmen der ärztlichen Aufklärung ein Hinweis darauf ergibt, dass bei der sterbewilligen Person eine krankheitswertige psychische Störung vorliegt, deren Folge der Wunsch zur Beendigung ihres Lebens sein könnte.
Auch diese Regelung verstößt gegen die Vorgaben des Verfassungsgerichtshofs, da sie nicht sicherstellt, dass die Entscheidungsfähigkeit der suizidwilligen Person in jedem Fall durch eine entsprechend qualifizierte Fachperson beurteilt wird.
Das Erkennen einer eventuell verborgenen, jedoch krankheitswertigen psychischen Störung mit potenziellem Einfluss auf die Entscheidungsfähigkeit erfordert mitunter viel Erfahrung und Expertise auf dem Gebiet der Psychiatrie und Neurologie, da sich solche Störungen auch indirekt oder verdeckt äußern können. Eine solche Beurteilung liegt jedoch in der Regel nicht in der medizinischen Kernkompetenz der aufklärenden Ärztinnen und Ärzte der unterschiedlichen Fachrichtungen (ausgenommen solcher für Psychiatrie). Ihnen die Erstverantwortung für diese entscheidende Einschätzung aufzuerlegen, ist daher nicht sachgerecht.
Es steht außer Zweifel, dass bei einer so gravierenden und zudem irreversiblen Entscheidung, wie der zur Selbsttötung, die diesbezügliche Entscheidungs- und Einsichtsfähigkeit der suizidwilligen Person unzweifelhaft feststehen muss.
Regelungsvorschlag:
Eine nicht nur fakultative, sondern obligatorische Überprüfung der Entscheidungs- und Einsichtsfähigkeit jeder suizidwilligen Person durch eine entsprechend qualifizierte Fachperson ist daher unbedingt erforderlich und sollte dringendst in das zu beschließende Gesetz aufgenommen werden. Sie ist einerseits als zusätzliche Sicherheit für die aufklärenden Ärztinnen und Ärzte von großer Bedeutung und findet ihre sachliche Rechtfertigung zudem in der besonderen Tragweite der Entscheidung zur Selbsttötung, bei der jeder Zweifel an der Entscheidungsfähigkeit des Suizidenten von vornherein ausgeschlossen werden muss.
In sprachlicher Hinsicht ist festzuhalten, dass der Begriff „Sterbeverfügung“ und damit auch die Bezeichnung des gegenständlichen Gesetzes als „Sterbeverfügungs-gesetz“ nicht zutreffend ist. Bei der sogenannten „Sterbeverfügung“ handelt es sich um eine formpflichtige Willenserklärung, in der gemäß § 5 StVfG der Entschluss der sterbewilligen Person festzuhalten ist, ihr Leben zu beenden.
Daraus ergibt sich, dass der Willensentschluss der Person nicht schlichtweg darauf gerichtet ist, zu sterben, sondern sich das Leben zu nehmen, also Suizid zu begehen. Dieser Umstand muss begrifflich auch entsprechend abgebildet werden, da der Wille zu sterben und der Wille, Suizid zu begehen, nicht gleichgesetzt werden können.
Darüber hinaus handelt es sich bei der „Sterbeverfügung“ nicht um eine rechtliche „Verfügung“ im eigentlichen Sinn, da sie – anders als beispielsweise die Patientenverfügung – nicht darauf ausgerichtet ist, Rechtswirkungen für einen Zeitpunkt zu entfalten, an dem die betroffene Person selbst nicht mehr entscheidungsfähig ist. Es handelt sich stattdessen um eine Willenserklärung, die lediglich den aktuellen Suizidwillen der Person im Zeitpunkt der Erklärung wiedergibt.
Regelungsvorschlag:
Um Zweck und Inhalt der Willenserklärung auch sprachlich korrekt abzubilden, wäre es sachgerecht, den Begriff der „Sterbeverfügung“ durchgehend durch den Begriff „Suiziderklärung“ zu ersetzen und folglich auch das gegenständliche Gesetz als „Suiziderklärungsgesetz“ zu bezeichnen.
§ 2 Abs 1 StVfG stellt klar, dass niemand verpflichtet ist, eine Hilfeleistung zur Selbsttötung zu erbringen, eine ärztliche Aufklärung durchzuführen, oder an der Errichtung einer Sterbeverfügung mitzuwirken. Abs 2 leg cit normiert, dass niemand wegen einer Hilfeleistung, einer ärztlichen Aufklärung oder der Mitwirkung an der Errichtung einer Sterbeverfügung, oder der Weigerung zu diesen Handlungen, in welcher Art immer benachteiligt werden darf.
Diese „Freiwilligkeit der Mitwirkung“ und das „Benachteiligungsverbot“ sind von größter Wichtigkeit, denn sie schützen das Recht auf freie Selbstbestimmung von Personen und Einrichtungen, sich aus ethischen Gründen weder an einem Suizid, noch an einer Suizidbeihilfe zu beteiligen.
In der vorliegenden Formulierung stellt die Regelung dieses Recht jedoch aufgrund ihrer Unbestimmtheit nicht wirksam sicher und bleibt insbesondere im Hinblick auf ihre konkrete Reichweite und die Rechtsfolgen im Konfliktfall unklar. Die Erläuterungen zu § 2 StVfG führen in diesem Zusammenhang lediglich aus, dass „auch eine Einrichtung nicht dazu verhalten werden [kann], Hilfeleistung bereitzustellen oder in ihren Leistungskatalog aufzunehmen“.
Regelungsvorschlag:
Zur Herstellung der notwendigen Rechtssicherheit wäre es einerseits erforderlich, im Gesetzestext eindeutig zu normieren, dass die Garantien des § 2 StVfG sowohl auf natürliche, als auch auf juristische Personen anzuwenden sind. Darüber hinaus muss eindeutig klargestellt werden, dass juristische Personen und andere institutionelle Träger nicht nur selbst keine Hilfeleistung zum Suizid anbieten müssen, sondern auch nicht dazu verpflichtet werden können, eine solche Hilfeleistung durch dritte Personen in ihren Einrichtungen zu dulden. Es muss daher jeder Einrichtung freistehen, beispielsweise im Rahmen einer Hausordnung, oder auch in individuellen Behandlungs-, Betreuungs-, und Heimverträgen mit den Patient/innen bzw. Bewohner/innen unmissverständlich festzulegen, dass in der jeweiligen Einrichtung eine Hilfeleistung zum Suizid weder angeboten noch geduldet wird. Zudem muss dieses Verbot auch gegenüber dritten Personen wirksam durchsetzbar sein.
Eine weitere Problemstellung ergibt sich, wenn es zu einem Konflikt zwischen der Ablehnungsfreiheit einer juristischen Person bzw. eines institutionellen Trägers und dem individuellen Benachteiligungsverbot einer dort beschäftigten natürlichen Person (Dienstnehmer/in) kommt. Es bestünde die Möglichkeit, dass sich eine natürliche Person, die trotz Verbotes in der Einrichtung an einer Hilfeleistung zum Suizid mitgewirkt hat, bei etwaigen disziplinären oder arbeitsrechtlichen Konsequenzen auf das Benachteiligungsverbot gemäß § 2 Abs 2 StVfG beruft, wonach sie wegen einer solchen Mitwirkung keinerlei Nachteile erleiden darf.
Regelungsvorschlag:
Um Konfliktfälle dieser Art zu vermeiden, wäre es dringend notwendig festzuhalten, dass sich ein/e Dienstnehmer/in gegenüber dem Dienstgeber nicht auf das Benachteiligungsverbot berufen kann, wenn er/sie dienstvertraglich, oder auf andere Art und Weise – auch konkludent oder durch Weisung des Dienstgebers – verpflichtet ist, sich an keiner Hilfeleistung zum Suizid zu beteiligen und dass eine Missachtung dieser Verpflichtung auch disziplinäre und arbeitsrechtsrechtliche Konsequenzen zur Folge haben kann. Umgekehrt muss ebenfalls sichergestellt werden, dass ein Dienstgeber seine Dienstnehmer/innen weder dienstvertraglich, noch durch entsprechende Weisung oder auf andere Art zur Mitwirkung an einer Beihilfe zum Suizid verpflichten kann.
Gemäß § 12 Abs 3 StVfG ist es verboten, sterbewilligen Personen eine Hilfeleistung anzubieten oder diese durchzuführen, wenn man sich dafür wirtschaftliche Vorteile versprechen lässt oder annimmt, die über den Ersatz des nachgewiesenen Aufwands hinausgehen.
Diese Bestimmung bedarf aus mehreren Gründen noch der weiteren Konkretisierung. Zunächst ist im Normtext jedenfalls festzuhalten, dass nicht nur wirtschaftliche Vorteile zugunsten der beihelfenden Person selbst, sondern auch zugunsten von Dritten als „Gegenleistung“ für die Beihilfe verboten sind. Diese Ergänzung ist zur Vermeidung von Umgehungsgeschäften dringend notwendig und findet sich in dieser Form auch in zahlreichen anderen Normen (z.B. §§ 127, 133, 134, 144 StGB).
Nach dem vorliegenden Entwurf werden zudem auch juristische Personen, beispielsweise „Sterbehilfevereine“, als Beihelfer nicht ausgeschlossen, wenngleich festzuhalten ist, dass die Gründung eines solchen Vereins bereits in den Nahebereich des „Verleitens“ im Sinn des § 78 Abs 1 StGB kommt. Aufgrund der möglichen Beihilfe durch solche juristischen Personen muss jedoch genau definiert werden, welche Aufwendungen ersatzfähig sind.
Andernfalls bestünde die Gefahr einer Umgehung des § 12 Abs 3 StVfG, indem beispielsweise Gehälter von Mitarbeitern und andere nicht mit der konkreten Beihilfe in Zusammenhang stehende Kosten als allgemeine „Aufwendungen“ des Vereins deklariert werden und damit ersatzfähig wären. Um die Etablierung eines solchen Geschäftsmodells hintanzuhalten, wäre eine Einschränkung der ersatzfähigen Aufwendungen dringend erforderlich.
Regelungsvorschlag:
Der ersatzfähige Aufwand sollte sich auf solche nachgewiesenen Aufwendungen beschränken, die beim Beihelfer im konkreten Zusammenhang mit dem jeweiligen Einzelfall der Suizidbeihilfe entstanden sind, wie beispielsweise Reisekosten oder konkrete Sachaufwendungen.
Ausdrücklich ausgeschlossen werden sollte dagegen der unmittelbare und mittelbare Ersatz jeder Form von Gehalt oder Dienstleistungsentgelt für den Beihelfer oder dritte Personen, sowie von allgemeinen Aufwendungen, auch und insbesondere in Form von in engem sachlichem und zeitlichem Zusammenhang mit der konkreten Beihilfe zum Suizid erforderlichen Vereinsmitgliedschaften und/oder Mitgliedsbeiträgen.
Die Erläuterungen enthalten im allgemeinen Teil unter lit A) Abs 3 die folgende Textpassage: „Die Befürchtung, dass die Entscheidung des VfGH und der darauf aufbauende Entwurf zu einem verwerflichen Umgang mit kranken Menschen oder Menschen mit Behinderung führen werden, erscheint unter diesem Aspekt nicht gerechtfertigt: Denn in Ländern, die sowohl die Tötung auf Verlangen als auch die Suizidassistenz erlauben, wird die Tötung auf Verlangen ungleich häufiger durchgeführt. Und obwohl die Häufigkeit der Tötung auf Verlangen in den Niederlanden und Belgien in den letzten Jahren signifikant gestiegen ist, bleibt der assistierte Suizid in diesen Ländern weiterhin eine Seltenheit (Borasio ua, Selbstbestimmung im Sterben – Fürsorge zum Leben² [2020] 69).“
Dazu ist festzuhalten, dass die im Text gezogene Schlussfolgerung, wonach die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs und der vorliegende Entwurf nicht zu einem verwerflichen Umgang mit kranken Menschen und Menschen mit Behinderung führen werden, aufgrund der geschilderten Beispiele in keiner Weise nachvollziehbar ist. Die Beispiele beziehen sich nämlich ausschließlich auf Staaten, in denen sowohl die Tötung auf Verlangen, als auch die Beihilfe zum Suizid erlaubt sind, um dann zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die Tötung auf Verlangen dort häufiger in Anspruch genommen wird. Sie sind aber für die Situation in Österreich, wo – zukünftig – ausschließlich die Beihilfe zum Suizid unter gewissen Bedingungen erlaubt sein wird, ohne jegliche Aussagekraft. Die zitierte Passage erzeugt beim Leser den irreführenden Eindruck, dass die Beihilfe zum Suizid ohnehin nur sehr selten in Anspruch genommen wird. Sie ist daher ersatzlos zu streichen.
Im Nachgang des Urteils vom Dezember 2020 bestand unter den im österreichischen Parlament vertretenen Parteien ein breiter Konsens, dass die Tötung auf Verlangen gemäß § 77 StGB, also die Tötung eines Menschen auf dessen ernstliches und eindringliches Verlangen, auch weiterhin strafbar bleiben soll.
Wenngleich der Verfassungsgerichtshof in seinem Urteil zu G 139/2019 festhält, dass die Erwägungen, die zur Aufhebung des § 78 2. Fall StGB führten, nicht ohne Weiteres auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit des – nicht zulässigerweise angefochtenen – § 77 StGB übertragbar seien, weil sich diese Bestimmung in wesentlichen Belangen von § 78 2. Fall StGB unterscheide, ist nicht auszuschließen, dass der Verfassungsgerichtshof in einem etwaigen zukünftigen Verfahren zu dem Ergebnis gelangen könnte, dass auch das Verbot der Tötung auf Verlangen gegen das sogenannte „Recht auf freie Selbstbestimmung“ verstößt und damit verfassungsrechtlich nicht haltbar ist.
Umso bedauerlicher und unverständlicher ist der Umstand, dass im Rahmen des gegenständlichen Entwurfs seitens des Gesetzgebers nicht einmal der Versuch unternommen wurde, die Bestimmung des § 77 StGB in Verfassungsrang zu heben und damit gegen eine Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof zu immunisieren.
Die Österreichische Bischofskonferenz appelliert daher nochmals mit Nachdruck an den Gesetzgeber und an alle im Parlament vertretenen Parteien, einer noch weiteren Aushöhlung des Schutzes des menschlichen Lebens in Österreich zuvorzukommen und das Verbot der Tötung auf Verlangen als Verfassungsbestimmung auszugestalten. Dies wäre ein wichtiges Signal für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Österreich, sowie ein klares Bekenntnis zur Achtung und Bewahrung des menschlichen Lebens bis zu seinem natürlichen Ende.
Der Gesetzgeber hat mit dem gegenständlichen Entwurf eine nahezu vollständige Straflosigkeit der Beihilfe zum Suizid vorgeschlagen. Diese völlige Aufgabe der Strafbarkeit reduziert für den Gesetzgeber das Risiko, dass vor dem Verfassungsgerichtshof weitere Gesetzesprüfungsverfahren durch Personen angestrengt werden, die sich durch solche Verbote in ihrer Handlungsfreiheit, Suizid zu begehen, beeinträchtigt sehen.
Doch wer wird künftig die Rechte jener Menschen wahrnehmen, die – ermöglicht durch die neue Straflosigkeit – unter psychischen und emotionalen Druck geraten sind und keinen anderen Ausweg mehr gesehen haben, als sich das Leben zu nehmen? Sie selbst können es nicht mehr, da sie dann nicht mehr am Leben sind.
Der Gesetzgeber würde sich mit dem Beschluss des gegenständlichen Entwurfs für den aus seiner Perspektive einfacheren Weg entscheiden, doch die von ihm vorgeschlagene Regelung der Beihilfe zum Suizid wird den zu erwartenden Missbrauch und die Beeinflussung vulnerabler Personen in der vorliegenden Fassung bedauerlicherweise nicht wirksam verhindern können.
Das Generalsekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz ersucht um die Berücksichtigung dieser Stellungnahme.
An das
Bundesministerium für Justiz
Museumstraße 7
1070 Wien
Mit freundlichen Grüßen,
Peter Schipka
(DDr. Peter Schipka)
Generalsekretär
der Österreichischen Bischofskonferenz
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