Der Canon Romanus unterscheidet sich von den meisten Hochgebeten anderer Kirchen des Ostens und Westens wie auch von allen, die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ins römische Messbuch aufgenommen wurden, unter anderem durch die Dominanz von Darbringungsaussagen und Opferterminologie sowie durch die Abwesenheit einer Geist-Epiklese. Der vorliegende Beitrag erörtert Geschichte und Struktur des Textes und fragt nach dem Verständnis der Darbringungsaussagen. Dabei zeigt sich, dass der Text ursprünglich nicht symmetrisch um den Einsetzungsbericht konstruiert war; auch kannte das von Ambrosius bezeugte Eucharistiegebet keine vorausgehende Wandlungsbitte. Das funktionale Äquivalent für Gaben- und Kommunikantenepiklese kann vielmehr auch im Canon Romanus im Anschluss an den Einsetzungsbericht erkannt werden. Die Opfertheologie hat im Lauf der Geschichte entscheidende Veränderungen erfahren: Waren ursprünglich einfach „alle (um den Altar) herum stehenden (omnes circum adstantes)“, ausdrücklich Männer und Frauen, als Subjekt der Darbringung angesprochen, wurde diese inklusive Aussage im Frühmittelalter – zunächst außerhalb Roms – durch einen Einschub „‚für die wir darbringen oder‘ die dir dieses Opfer … darbringen“ auf den amtierenden Klerus beschränkt und damit regelrecht umgedreht. Objekt der eucharistischen Darbringung ist im wichtigsten Text der römischen Tradition über das Messopfer jedenfalls „dieses Opfer des Lobes“, also ein worthaftes und somit metaphorisches Opfer im Sinne von Ps 49 (50),14 und Hebr 13,15.
Prof. Dr. Harald Buchinger
ist Professor für Liturgiewissenschaft an der Fakultät für Katholische Theologie und Director des Centre for Advanced Studies „Beyond Canon_“ der Universität Regensburg sowie Direktor des Institutum Liturgicum Ratisbonense.
SYNOPSE: Der Kern des Canon Romanus im Lichte alter Paralleltexte